Im Zuge eines Trainings, bei dem ich gerade teilnehme, habe ich die Aufgabe bekommen, einen Tag lang zu fasten – also nichts zu essen. Zusätzlich sollten wir uns vorstellen, dass es nicht genug Essen für die gesamte Gemeinschaft gibt, und wir unseren Teil abgeben als Dienst an den anderen.
Das ist eine tolle Übung, und ganz sicher ein hilfreiches Training. In der Situation, in der ich mich gerade befinde, erschafft es jedoch eine gewisse Unstimmigkeit. Gerade jetzt habe ich nämlich so viel Essen zuhause, dass es schlecht werden würde, wenn ich heute davon nichts äße. Was soll ich also tun?
Ich kenne den Wert und die Wichtigkeit von Selbstkontrolle sehr gut, und auch das sich selbst zurücknehmen und in den Dienst für andere treten. Aber dieses Thema erinnert mich gerade sehr stark an alle möglichen Trainings oder anderen Bemühungen, etwas zu erreichen.
Wie wir Dinge erreichen
Wenn wir uns trainieren und auf eine bestimmte Situation vorbereiten, oder wenn wir generell irgendwas erreichen wollen, brauchen wir ein ganz reales, greifbares Bedürfnis, warum es uns wichtig ist, das zu erreichen. Ein Bild oder eine Vision, wo oder wie wir sein wollen, oder zumindest eine Idee, WARUM es wichtig ist, das zu erreichen, und wie wir es erreichen können. Wenn wir lediglich die Vision haben, ist das nicht genug. Wir brauchen eine Kraft, die uns in Bewegung setzt, eine, die uns beschleunigt, eine die den Schwung aufrecht erhält, damit wir in Bewegung bleiben, und eine, die dafür sorgt, dass wir nicht ausbrennen.
Das Bedürfnis ist das, was uns in Bewegung setzt. Was uns den Arschtritt verpasst. Und das Bedürfnis kann nichts kognitives sein. Es muss eine starke Emotion sein, die wir im ganzen Körper spüren können. Es kann nicht einfach nur eine Information sein, dass z.B. die Welt am sterben ist. Wir müssen es in jeder Faser unseres Seins spüren.
Dein Warum, deine tiefe, intrinsische Motivation, warum etwas nicht so bleiben kann sondern sich verändern muss, ist dein Treibstoff, um dich zu beschleunigen. Es ist deine Begeisterung. Das, was dich vor Freude in die Luft springen lässt, oder dich zu intensiven emotionsgeladenen Reden treibt.
Deine Vision, das Bild der Zukunft, von der du träumst, ist das, was dich am Laufen hält (auch in Verbindung mit deinem Warum), wenn du Gefahr läufst, dass dir die Luft ausgeht. Es hilft dir, das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Damit du immer weißt, wohin du gehst. Wofür all der Aufwand wert ist. Um die nicht so lustigen Aspekte deiner Reise zu akzeptieren, weil du weißt, wofür du es tust.
Und deine Werte sind die, die dich auf Schiene halten. Sie helfen dir, zu erkennen, ob das was du gerade tust, dich auch wirklich deiner Vision näher bringt. Oder ob du deinen Kurs korrigieren musst. Sie stellen außerdem sicher, dass du genug Energie hast, den Marathon gut durchzuhalten. Weil deine Vision ist niemals ein Sprint.
Wie alles zusammenpasst
Lass uns nun zu meiner Aufgabe, einen Tag lang zu fasten, zurückkommen… Ich habe die Vision, ein starkes, fähiges Individuum zu sein, das stets bereit ist, ihren Leuten zu dienen. Ich habe mein Warum, weil ich mich stark mit der Rolle der Wächterin identifiziere, für die dieses Training ausgelegt ist. Ich kann es eventuell sogar auf eine Art und Weise interpretieren, dass es mit meinen Werten (Mut und Offenheit für den Prozess) vereinbar ist, aber mein Bedürfnis ist nicht wirklich vorhanden. Und ohne mein Bedürfnis kann ich zwar pure Willenskraft einsetzen, um den Prozess zu starten, aber das Bedürfnis ist mehr als nur die Zündflamme. Es ist auch die nährende Basis, die den Beschleuniger (dem Warum) und das Aufrechterhalten vom Schwung (die Vision) nährt, und stark mit ihnen verbunden ist.
Wenn das Bedürfnis fehlt…
Ich habe schon so oft beobachtet, dass wenn ich lediglich meine Willenskraft einsetze, dass die Beschleunigung nicht wirklich anläuft, und der Schwung definitiv nicht einsetzt.
Wie also schaffen wir das Bedürfnis?
Es kann sowohl ein physisches als auch ein emotionales Bedürfnis sein, oder auch beides. Ein Impulsgeber kann sein, sich einsam und unerfüllt zu fühlen. Oder wenn wir an unserem tiefsten Punkt angekommen sind. Oder aber wir sind physisch dazu gezwungen, weil kein Essen, keine Wärme, oder kein Unterschlupf vorhanden sind.
Zwei Tagen vor der Aufgabe habe ich einen Tag lang gefastet. Es war absolut kein Problem, obwohl ich den Tag davor gekämpft hatte und gescheitert war. Bei der gleichen Aufgabe.
An einem Tag schien es schier unerträglich, da ich ein starkes Bedürfnis nach Selbstfürsorge hatte. An einem Tag war es sehr einfach, da ich das emotionale Bedürfnis nach Reinigung und Loslassen hatte. Und an einem Tag war es mir im Grunde egal. Da hatte ich kein starkes Bedürfnis, aber genug Energie, um es mit Willenskraft durchzuziehen. – Ich habe es so oft in so vielen Projekten beobachtet, dass Willenskraft als Ersatz für irgendeinen dieser vier notwendigen Aspekte für das Gelingen eines Projektes verwendet wird, das eigentlich nachhaltig sein soll. Uns wird sogar durch Vorleben beigebracht, dass Willenskraft das ist, was wir brauchen. Dass wir nichts erreichen, wenn wir uns nicht zusammenreissen bzw. dazu zwingen.
Welche Role die Willenskraft spielt
Ich sage nicht, dass Willenskraft nicht wichtig ist. Aber es funktioniert nur als kurzfristige Lösung. Als Ersatzlösung, wenn ein Teil deines Systems für kurze Zeit ausfällt. Es ist der Notfallgenerator. Definitiv wichtig, aber nicht etwas, das tagtäglich in Gebrauch sein sollte.
Eine Möglichkeit, das Problem zu lösen
Als Fazit zu meiner Aufgabe, einen Tag zu fasten, musste ich nach einer Alternative suchen, damit ich dennoch übe, in den Dienst für andere zu treten, während ich nicht unnötig Essen verschwende. Etwas, das ähnlich stark mit meinem Warum (Beschleuniger), meiner Vision (Schwung aufrecht erhalten), und meinen Werten (was mich auf Schiene hält) übereinstimmt, und wo ich zusätzlich ein starkes Bedürfnis empfinde.
Was ich jetzt erkenne ist, dass mein Schreiben möglicherweise diese Alternative sein kann. Es ist ein wichtiger Teil meiner Vision, den ich schon zu lange vor mir hergeschoben habe. Daher nutze ich heute diesen Beitrag um eine Stellungnahme abzugeben. Um mich meinem Pfad voll hinzugeben, und all das voll auszudrücken, was ausgedrückt werden will und muss.
Danke, dass du mir (und dir) deine Zeit und Aufmerksamkeit geschenkt hast.