Sobald wir uns mit der Frage beschäftigen, Selbständig zu werden, werden wir auf Social Media mit Werbung beworfen. Dann kommt schnell mal folgende Botschaft (direkt oder indirekt): „Du bist Selbständig etwa als jemand der seine Dienste übers Internet anbietet? Na dann musst du all den Geschichten der Leute auf Social Media folgen. Dann brauchst du Follower, weil nur so kannst du dein Business aufbauen und die ganze Zeit Leute zu dir leiten.“
Und dafür gibt’s dann von jedem dieser Coaches ganz tolle Wege, und nur dieser jeweilige Weg ist gut. Und du glaubst ihnen. Weil auch wenn wir noch so sehr im Bewusstsein haben, dass das Internet ganz viele Trickbetrüger mit sich bringt, wirken aber all diese Menschen, denen du ja auch schon lange folgst nicht so. Die sind sicher anders, und was sie sagen wirkt auch logisch. Und die wollen dir ja auch helfen…
Ich habe dieses ganze Thema der Werbung, speziell in der Coaching/Trainer/Speaker/Therapeuten/whatever-bubble jetzt über viele Jahre beobachtet und ich halt es nicht mehr aus. Auch wenn es in den meisten Fällen nicht direkt ausgesprochen wird, wird doch im Grunde überall suggeriert, dass wir auf irgendeine Form berühmt oder beliebt oder geliebt oder besonders sein müssen, wenn wir auch nur irgendeine Chance haben wollen, in unserer Selbständigkeit erfolgreich zu sein. Inzwischen frage ich mich jedoch immer mehr, wie ich all die Nuancen und Ebenen dieses extrem effizienten Brainwashing erkennen und loslassen kann. Aber worum geht’s eigentlich?
Wenn du berühmt bist, dann hast du es geschafft
So einige in dieser Coaching Szene präsentieren sich auf die eine oder andere Form als Superstar. Sie haben riesen Events, die mehr einem Spektakel gleichen als einer tiefen Begegnung auf menschlicher Ebene. Sie suggerieren uns, dass wenn wir Menschen in welcher Form auch immer dabei begleiten wollen, dass es ihnen besser geht, dann müssen wir das anstreben was diese „Super-Coaches“ leben.
Andere wiederum bereichern sich damit, dass sie anderen sagen, was sie denn tun sollen um reich und berühmt oder erfolgreich zu werden, ohne wirklich das zu leben, was sie da verkaufen. Wieder andere präsentieren sich lediglich in einem tollen Licht, um etwas zu verkaufen, das sie gerne wären aber nicht sind. Sie glauben, das tun zu müssen, sind aber meist überhaupt nicht glücklich.
Was aber unter der Oberfläche passiert ist ein ständiges Gaslighting und schlechtes Gewissen einreden, und kommunizieren, dass wir so wie wir sind (noch) nicht genug sind. Es ist die gleiche Karotte im Hamsterrad wie davor im Angestelltenverhältnis, nur dass sie jetzt vergoldet oder mit einer magischen Aura überzogen ist.
Was, wenn ich gar nicht berühmt, bekannt und sichtbar werden will?
Kann ich dann automatisch meiner Selbständigkeit lebewohl sagen? – Wenn man den meisten Marketing-Coaches da draußen glauben schenkt, dann ja. Wir MÜSSEN schließlich alle sichtbar werden. Wie soll uns sonst jemand finden, oder?
Sie sprechen damit unsere Angst an, dass wir uns da auf einen Weg begeben haben, wo wir uns vielleicht doch ein bisschen zu weit aus dem Fenster gelehnt haben. Aber was ist mit all den Menschen bevor es das Internet und Social Media gab? Hat sich da nie jemand selbständig gemacht? Mussten die auch alle auf irgendeine (metaphorische oder wortwörtliche) Bühne treten?
Teilweise sicher. Und ich will damit nicht sagen, dass es nicht absolut notwendig ist, dass uns die Leute finden, für die wir unsere Dienste anbieten. Aber ich möchte das Bild hinterfragen, das uns über Social Media und über das Internet vermittelt wird, WIE wir das schaffen können.
Ich wollte nie berühmt sein oder auf einer Bühne stehen
Ich hab mich immer viel wohler gefühlt, im Hintergrund mich darum zu kümmern, dass die, die vorne stehen gut vorne stehen können. Aber die letzten Jahre habe ich mich dennoch so stark in diesen Narrativ hineinsaugen lassen, dass ich unendlich viel Energie darin verbraten habe, zu überlegen, wie ich denn bekannt und sichtbar werden kann.
Ich habe verzweifelt überlegt, wie ich für irgendwelche mir unbekannten, gesichtslosen Menschen sichtbar werden könnte, und dass sie mich mögen und möglicherweise auch bewundern. Spannenderweise war das dann dadurch Geld verdienen gar nicht an erster Stelle. Gleichzeitig war da aber ständig dieser innere Widerstand, dass sich das nicht echt anfühlt.
Ich bin (noch) nicht gut genug – oder?
Dem Narrativ folgend, bin ich in das nächste Loch gefallen, dass es ja wohl an mir liegen würde, dass ich diesen Widerstand nicht überwinde, und mir selbst im Weg stehe, und ich ja schon längst so wie viele andere voll erfolgreich und bekannt sein könnte, wenn ich nur mehr irgendwo gepostet hätte und mehr Follower hätte, und dann wäre ja alles gut.
Gleichzeitig hab ich aber nicht bemerkt, dass ich eigentlich eh schon längst genau den Weg gehe, wie es sich organisch, natürlich, schrittweise ergibt, wenn man eine Selbständigkeit aufbaut. Man hat Kontakte zu anderen, schafft Kooperationen, unterstützt sich gegenseitig, und dann kommt eines nach dem anderen und baut sich auf.
Es ist nicht glänzend und glamourös. Es ist nicht geradlinig nach oben sondern läuft mal mehr mal weniger gut. Es ist mal sehr intensiv im außen, und dann wieder sehr intensiv in inneren Prozessen. Es ist leicht möglich, dass es jahrelang nicht genug einbringt um davon gut leben zu können. Aber wenn wir dran bleiben, finden wir immer wieder ein Weg, der davor noch gar nicht sichtbar war.
Das Bild erkennen
Über Jahre habe ich diesem Bild des „sichtbar werdens“ eine Idee übergestülpt, die mich dazu gebracht hat, paralysiert in der Ecke zu sitzen, weil ich Angst hatte, irgendwas falsch zu machen.
Ich kann doch nicht über meinen eigenen Weg und all meine Stolperer und eigenen Prozesse bloggen, wenn ich als Begleiterin von Menschen in ihren Prozessen respektiert werden möchte, oder? Dann sehen ja alle, dass ich nicht alles auf der Reihe hab, und nicht schon alles weiß und auch so auftrete, und wer geht schon zu so jemandem?
Und man könnte jetzt sagen, dass es absurd klingt, dass jemand darüber schreibt, dass wir nicht der „bekannt werden“-Karotte nachlaufen sollen, und das dann online veröffentlicht. Aber es kommt da viel mehr auf die Intention drauf an.
Ich hatte die ganze Zeit die Widerstände, Dinge zu veröffentlichen „um sichtbar zu werden“. Wenn ich aber stattdessen Dinge veröffentliche, weil es mir ein Anliegen war, es zu schreiben, und mit anderen zu teilen, weil es möglicherweise Denkanstöße liefert, dann geht es mir nicht um ein obskures Konzept von Berühmtheit oder Anerkennung.
Viel mehr geht es mir darum, Verbindung und Beziehung aufzubauen mit all jenen, mit denen diese Worte resonieren. (Hoffentlich) ohne einen versteckten Hintergedanken. Ohne der Idee, jemanden manipulieren zu wollen, mich zu mögen oder vielleicht sogar zu bewundern.
Das Ziel loslassen
Sowohl beim Marketing als auch bei der gesamten Selbständigkeit – wenn wir all dies denn bewusst angehen wollen – geht es nie um das Ziel. Solang wir festhalten an der Idee, bekannt, berühmt, beliebt, erfolgreich, oder auch nur sichtbar werden zu wollen, klammern wir uns an ein Ziel, und vergessen dabei, dass es um den Weg geht. Dass es um unsere persönliche Reise geht, zu wem wir werden, wenn wir sie gehen.
Werden wir zu irgendeiner Persona, die irgendwelchen Ideen nachläuft? Oder werden wir zu verbundenen, geerdeten, erwachsenen Menschen, die immer mehr Vertrauen in sich selbst und ihre eigenen Fähigkeiten bekommen? Menschen, sich immer wieder neuen Herausforderungen stellen und nicht davon laufen, ihr wahres Selbst zu leben, egal ob wir eine Bestätigung von Außen bekommen oder nicht.
Aber worum geht es eigentlich wirklich?
Auch wenn ich mich mit dieser Frage immer öfter wiederhole, ist sie doch inzwischen für mich auf meinem Weg zu einer der wichtigsten Fragen geworden. Sie bringt mich immer wieder zu meinem Kern, und dahin, was meine Intention ist. Biete ich etwas an, weil ich gerade Bestätigung von Außen brauche? Oder weil ich in Geldnöten bin? Oder mache ich es aus purer Freude oder weil der Impuls gerade da ist?
Wenn wir erkennen, dass wir gerade etwas brauchen, kümmern wir uns im Idealfall selbst oder mit Hilfe aus unserem engen Familien und Freundeskreis um unsere Bedürfnisse und bieten nur dann etwas an, wenn wir genug davon haben. Im Kern ist aber gerade im ethischen Marketing vor allem wichtig, jegliche versteckte Manipulation zu vermeiden.
Dann können wir uns darauf konzentrieren, einfach transparent und authentisch Verbindungen zu Menschen aufzubauen, die dann in weiterer Folge möglicherweise zu Angeboten oder Zusammenarbeiten führen, oder auch nicht. Dann können wir die Idee der Follower und des „berühmt sein Müssens“ loslassen, und stattdessen uns mit unserer Intuition verbinden.
Weil dann können sich scheinbar magisch genau die richtigen Verbindungen und Möglichkeiten ergeben, an die wir davor nichtmal gedacht haben. Und dann entsteht langsam aber stetig und nachhaltig ein Netzwerk an Kunden/Klienten, Kooperationspartnern, Mentoren und anderen Verbindungen, und wir können auch ganz ohne Berühmtheitsstatus eine ganz unaufregende Selbständigkeit oder einfach nur ein freies Leben führen, zufrieden und glücklich.
