„Was? Du führst mehrere Stunden täglich Gespräche mit Leuten, die auf der ganzen Welt verteilt sind?“ – Diese Worte eines guten Freundes haben mich nicht losgelassen. Auch wenn es Teil meiner Arbeit ist, wusste ich, dass ich mich mal wieder in einer Sackgasse des Lebens verlaufen hatte. Ich war im Grunde 24/7 erreichbar, und die Folgen dessen waren sichtbar. Deshalb hatte ich direkt nach Weihnachten spontan beschlossen, nach längerer Zeit mal wieder „offline“ zu gehen. Ich wollte zumindest einen Tag lang für andere nicht erreichbar sein und auch niemanden erreichen können.
Wenn wir zu lange umgeben sind von einer Kultur/Gesellschaft, die uns nicht zuträglich ist, lassen wir uns früher oder später mitreißen. Egal, wie gut wir durch frühere Erfahrungen wissen, dass es uns nicht gut tut. Dann braucht es ein starkes Netz an Menschen, die eine andere Kultur leben. Menschen und ein Wertesystem, die uns immer wieder daran erinnern, uns in uns selbst und im Hier und Jetzt zu verankern.
Die Geschichte der Erreichbarkeit
So gerne erzählt mir meine Angst, dass es wichtig ist, erreichbar zu sein. Ich könnte ja einen wichtigen oder dringenden Arbeitsauftrag bekommen, der nicht warten kann. Oder jemandem geht es nicht gut, und ich möchte ja da sein für diese Person. Oder die Welt geht unter und ich krieg’s gar nicht mit!
Die Angst ist äußerst kreativ, Geschichten zu finden, warum wir immer erreichbar sein müssen. Aber wie wichtig ist es, dass wir dieser Angst auch wirklich zuhören und ihr auch nachgeben?
Erreichbarkeitsfasten
Schon vor vielen Jahren hatte ich die Empfehlung bekommen, regelmäßig ein Mal pro Woche oder zumindest ein Mal pro Monat ein bis drei Tage zu fasten – also nichts zu essen. Nachdem ich den Satz meines Freundes in mir sacken gelassen hatte, kam der Gedanke, dieses Konzept des regelmäßig Fastens auf meine Erreichbarkeit anzuwenden. Das bedeutet, das Telefon entweder nur auf Flugmodus zu haben oder sogar ganz abzudrehen, und auch das E-Mail Programm oder sogar den ganzen Computer nicht zu starten. Es bedeutet auch, nicht im Internet zu surfen, da uns auch über diesen Weg Informationen erreichen, die uns vom Sein im Hier und Jetzt abbringen.
Die Idee ist es, mich immer wieder auf diese Forschungsreise des Erreichbarkeitsfastens einzulassen, um das Gefühl zu stärken, dass es okay ist, und die Welt nicht davon untergeht, wenn ich mal nicht sofort das Telefon abhebe oder auf eine E-Mail antworte. In weiterer Folge gilt es dann, selbst wenn ich theoretisch erreichbar wäre, trotzdem bei mir zu bleiben, und in meiner eigenen Zeit zu antworten. Denn idealerweise komme ich mit der Angst des Nicht-erreichbar-seins, und in weiterer Folge der Angst nicht gebraucht zu werden, immer mehr in Frieden.
In den Zeiten, wo ich in der Wildnis lebe, andere Seminare begleite oder auch einfach so mit anderen unterwegs bin, ist es sehr viel einfacher, mich voll auf den Moment einzulassen und dann ist es auch meist völlig klar, dass alles andere warten muss. In dieser Zeit kommt automatisch eine gewisse Ruhe in mir auf, weil ich weiß, dass ich nur genau hier sein muss mit meiner Aufmerksamkeit, und nicht noch an 5 oder 10 andere Bälle in der Luft denken muss.
Wenn ich aber alleine bin, dann fällt es mir oft um einiges schwerer. Denn anderen Menschen meine volle Aufmerksamkeit zu schenken ist schließlich viel einfacher, als klar und offen zu sagen, dass ich gerade nicht erreichbar bin, „einfach nur“ weil es gerade wichtig ist, meinem Leben im Hier und Jetzt meine volle Aufmerksamkeit zu schenken.
Die innere Stille zurückerobern
Wenn wir einen großen Teil unserer Zeit erreichbar sind, schleicht sich langsam und stetig also diese innere Unruhe oder auch Angst ein. Und wie der Frosch, der im kalten Wasser sitzt und langsam erhitzt wird, merken wir es oft gar nicht mehr, dass sie unser stetiger Begleiter geworden ist. Die innere Unruhe wird zur Normalität. Und erst wenn wir uns mal wieder ins kalte Wasser setzen, merken wir den Unterschied.
Der eine Tag, den ich offline verbracht habe, war wie eine kalte, erfrischende Dusche, die mich vor allem daran erinnert hat, dass ich nicht auf mein nächstes Seminar oder Programm im Wald warten muss, um diese innere Stille wieder zurückzuerobern. Ich kann sie mir in jedem Moment in mir Präsent machen. Die Ängste dürfen da sein, aber ich brauche ihnen keine Bedeutung oder Aufmerksamkeit schenken. Und du auch nicht.
