Ich war still. Und zwar schon viel zu lange. Ich habe das Aufbegehren in den USA beobachtet, und die Solidarität in so vielen anderen Ländern, und habe mich gelähmt gefühlt. Ich habe mehr und mehr gesehen und gelernt über den Schmerz, den so viele Schwarze Menschen täglich erleben. Habe erkannt, dass selbst wenn ich glaube, dass ich nicht direkt in die Brutalität involviert bin, dass ich immer noch zum Problem beitrage. Ich habe mich mit dem Gefühl der Schuld verbunden, aber mich daran erinnert, dass ich nicht in die Falle tappen darf, mich schlecht dafür zu fühlen. Ich habe mich mit dem Gefühl der Scham verbunden, und mich daran erinnert, dass es wichtig ist, diese Gefühle zu fühlen, um sie wirklich zu adressieren. Und auch hier wieder: sie fühlen. Sie akzeptieren. Aber nicht in Selbstmitleid oder in eine Opferhaltung verfallen. Nicht wieder so umzudrehen, dass die Aufmerksamkeit bei mir ist.
Vor kurzem habe ich ein Kommentar eines weißen Mannes gelesen, der das Thema nicht verstanden hat. Er sagte, dass sie [Menschen mit schwarzer Hautfarbe] aufhören sollen zu sagen “aber was ist mit mir?”. Und im gleichen Atemzug hat er hervorgehoben, wie schlecht es manchen weißen Menschen geht (im Grunde genauso ein “aber was ist mit mir?”-Aufschrei). Und ja, es stimmt sicher, dass es eine Gruppe von weißen Menschen gibt, sogar weißen Männern, die es nicht leicht hatten und haben im Leben, die täglich kämpfen müssen. Und niemand möchte ihnen ihren Schmerz nehmen oder sagen, dass er nicht hier ist. Sie fühlen sich beschuldigt und nicht gesehen. Aber so wie ich das sehe, ist das ein Teil des Problems. Alle von uns, die es nicht gelernt haben, wirklich unsere Gefühle zu fühlen und nicht zu verdrängen oder umzuleiten.
Aber ich schweife vom Thema ab… Ich war auf keiner der aktuellen Demonstrationen. Ich habe nicht annähernd oft genug zu diesem Thema mein Wort erhoben. Ich habe großteils still am Spielfeldrand beobachtet. Und ich fühle Scham dafür. Und je länger ich still bin, umso mehr Scham kommt auf. Ich habe meine eigenen Muster und Vorurteile rund um dieses Thema schon seit einigen Jahren beobachtet, und ich muss offen zugeben:
Ich bin immer noch rassistisch. Ich will es nicht sein. Ich möchte lernen und ich glaube, dass es schon besser wird. Aber es gibt so viel, das ich noch nicht weiß, und das ich einfach nur aus unbewusster Ignoranz tue oder nicht tue. Aber ich kann es mir nicht erlauben, in diese Schuld-Falle zu treten für all die Fehler die ich mache.
Das Thema ist nicht, dass uns “priviligierten” Menschen gesagt wird, dass wir falsch SIND, sondern dass wir etwas falsches GETAN haben (um mehr über dieses Thema zu lernen siehe Brené Browns Ted Talk). Und dass wir unsere Handlungen ändern müssen. Egal was wir darüber wissen oder nicht. Dass wir es tun müssen, wenn wir wollen, dass sich etwas ändert.
Wir können all die schrecklichen Dinge anerkennen, die unsere Vorfahren, unsere Großeltern, unsere Eltern und wir selbst getan haben. Wir wussten es nicht besser. Wir müssen uns dafür entschuldigen. Und wir müssen uns ändern, lernen und es ab JETZT besser machen. Und morgen. und übermorgen. Ich kann die Geschichte nicht ändern, aber ich kann verdammt nochmal dazu beitragen, dass ich nicht Teil davon bin, dass sie sich wiederholt.
Der Text wird höchstwahrscheinlich (traurigerweise) nur von denjenigen vollständig gelesen werden, die großteils mit mir übereinstimmen. Aber es muss trotzdem geteilt werden. Jede Stimme zählt. Ich sehe eine Freundin von mir aus Minneapolis, wie sie jede Menge Informationen über das Thema teilt und bin dankbar. Ich stimme ihr vollständig zu, aber es gibt noch immer so viel mehr, das ich lernen kann. So viele kleine Dinge, die sich höchstwahrscheinlich unangenehm anfühlen, wenn ich genauer hinschaue, und sie wirklich in ihrer Gänze fühle. Aber wir sind bewusste, ermächtigte Erwachsene, und wir können anfangen zu lernen. Wir können immer weiter über dieses Thema lernen. Und nicht auf alle anderen zeigen, die noch schlimmere Rassisten sind als wir.
Als Frauen wolllen wir, dass Männer es verstehen, wie es uns geht. Dass sie unsere Perspektive sehen. Wir fragen uns, wie zur Hölle sie so blind sein können. Aber es braucht Menschen, die es ihnen aufzeigen. Und es braucht Menschen, die bereit sind, anzuerkennen, dass sie einen blinden Fleck haben und dass sie bereit sind, mehr darüber zu lernen. Also stehe ich hier. Nackt. In meinem Umhang aus Schuld und Scham. Gedemütigt. Bereit, zuzuhören. Bereit, zu lernen. Bereit, all die unangenehmen Gefühle rund um meine Privilegien zu fühlen.
Es ist eine Sache zu sagen, dass wir privilegiert sind. Es ist nochmal etwas ganz anderes, wirklich das ganze Bild zu sehen, und die Gefühle anzuerkennen, die aufkommen, wenn wir es erlauben, dass sie uns durchdringen. In all den hintersten Ecken nach den Dingen zu suchen, die wir über uns nicht sehen oder anerkennen wollen. Oder wir gar nicht wissen, dass sie da sind.
Zu Beginn des Aufbegehrens etwa dachte ich, dass es ein Problem der USA ist, und dass Österreich anders ist. Und dass ich das deshalb nicht wirklich so gut nachvollziehen kann. Aber dann wurde ich wieder an meine Ignoranz erinnert. Es gibt genug Fälle von ungerechtfertigter Polizeigewalt und Mord von unschuldigen Schwarzen auch hier in Österreich. Es möge aussehen, als wäre es weniger, aber das ist vor allem aufgrund der Ländergröße und des Verhältnissees von weißen und schwarzen Menschen, die hier leben. Es ist schlichtweg weniger dominant und einfacher zu übersehen. Aber das heißt nicht, dass es nicht existiert und nicht genauso schlimm ist.
Diese Dinge kommen vor allem in den Situationen hoch, wo wir Angst haben oder uns unsicher fühlen. Dann müssen wir offen und ehrlich sein mit unseren Gedanken, die fast wie ein Reflex auftauchen. Die Gedanken, die kommen, bevor unser rationales Hirn sich einschaltet und uns erzählt, dass wir ja gute Menschen sind und dass wir das ja eh nicht wirklich glauben. Aber wir tun es. Ich tue es. Du tust es höchstwahrscheinlich.
Das ist eine gewagte Aussage, und ich habe noch nie so einen starken Standpunkt zu irgendeinem Thema in der Öffentlichkeit eingenommen. Aber es geht uns alle an. Und es hängt so stark mit meiner Kernbotschaft zusammen, dass wir wieder lernen müssen, offen und ehrlich zu uns selbst und zu anderen zu sein. Ernsthaft, radikal, und frei heraus ehrlich. Das ist der allerwichtigste Schritt, um unser Leben, unsere Gesellschaft, unseren Planeten in einer Form zu transformieren, dass wir wieder mehr verbunden, liebevoll und alle einbeziehend leben können.
Anhang: Und an die Menschen, die einwenden, ob das nun wirklich Rassismus oder doch eher Ignoranz ist, oder die über kleine Details meiner Worte diskutieren möchten: Ich lade dich ein, auf dich selbst zu schauen. Was ist es, das du im Zusammenhang mit dem Thema nicht sehen willst? Warum möchtest du vom Hauptthema ablenken? Die Antwort könnte schmerzhaft sein zuzugeben. Es kann sein, dass du sie nicht sehen willst. Und es ist okay, Widerstände zu haben. Das Wichtige ist, mutig genug zu sein, an der Frage dran zu bleiben, auch wenn noch keine Antwort da ist.
Und zum Abschluss noch etwas Gedankenfutter: